Wohnquartier Rötenberg, Aalen

Rötenberg, Aalen: Architektur des menschlichen Maßstabs

2014 starteten Aldinger Architekten nach gewonnenem Wettbewerb um die städtebauliche Neuordnung des Wohngebiets Rötenberg in Aalen mit den Planungen für den 1. Bauabschnitt. Das Baugesuch für sieben neue Gebäude wurde kürzlich eingereicht, während das Hanggelände gerade für den Start der Bauarbeiten vorbereitet wird. Die Projektarchitektinnen Katharina Wolf und Diya Menezes von Aldinger Architekten sprechen im Interview über die Bedeutung des menschlichen Maßstabs im städtischen Raum und stellen progressive Entwurfsvorschläge für eine gelingende soziale Durchmischung vor.

Frau Wolf, Frau Menezes, was haben Sie 2013 in Aalen vorgefunden? Welche Aufgaben hatten Sie bei städtebaulicher Neuordnung und Gebäudeentwurf zu erfüllen?

Gemeinsam mit Köber Landschaftsarchitekten aus Stuttgart haben wir 2013 einen Vorschlag zur städtebaulichen Neuordnung des Wohngebiets Rötenberg in Aalen erarbeitet und diesen Wettbewerb gewonnen. Die Bebauung im Gebiet stammte aus den 1950er Jahren und wies die typischen Probleme dieser recht homogenen Siedlungen aus jener Zeit auf: In Reihen angelegte Siedlungshäuser, die kaum auf die vorhandenen Topografie reagieren, eine unzeitgemäße Grundrissaufteilung sowie eine veraltete technische und sanitäre Infrastruktur aufweisen und auch in energetischer Hinsicht inzwischen unzureichend und ineffizient ausgestattet sind. Ebenso wenig wie die Häuser boten die Außenanlagen Wohnwert; mit dem Ergebnis, dass Wohnungssuchende mit höherem Einkommen das Viertel mieden und der Rötenberg in Aalen den Ruf einer sozialen Problemlage bekam. Den Initiatoren des Wettbewerbs war es darum besonders wichtig, mit qualitätsvoller Architektur und attraktiven Außenbereichen das Gebiet wieder aufzuwerten und eine gesunde Bewohner-Durchmischung aus allen gesellschaftlichen Schichten zu erreichen.

Wie wichtig ist die Einheit von Architektur und umgebender Landschaftsgestaltung beim Rötenberg? Wann begann die Zusammenarbeit der beiden Disziplinen?

Wir haben bereits im Wettbewerbsstadium intensiv mit Köber Landschaftsarchitekten zusammengearbeitet. Die Charakteristik des Ortes erfahrbar zu machen und mit Landschaftsgestaltung und Architektur dem Stadtteil Rötenberg eine neue Identität zu geben war unser gemeinsames Ziel von Anfang an. Um ihn innerhalb der unterschiedlichen Nachbarschaften, zwischen Bahnlinie und Aalens Innenstadt neu zu definieren, mussten wir bestehende Architektur, Neubauten und umgebende Landschaft zueinander in Einklang bringen. Einzelne Bestandsgebäude waren 2014 bereits saniert worden, d.h. sie waren zum Wettbewerbszeitpunkt mit neuer Zentralheizung und mit vorgesetzten Balkonen versehen. Eine Grundrissmodernisierung wurde hier jedoch nicht vorgenommen. Da die vorhandene Bebauung in Form von längs gerichteten Wohnriegeln der Topografie des Hanggrundstücks eher entgegensteht, schlug Prof. Aldinger für die Neubauten eine Punktbebauung vor, um die Zeilenbebauung aufzulockern und aufzuwerten und entwickelte das Gesamtkonzept sehr stark aus dem Umgang mit der Topografie heraus.

Das gesamte Areal gliedert sich nun in drei kleinere Einheiten. Wo der Hang am steilsten ist, sind Grünzonen angeordnet. Grüne Flure verbinden die Bebauungszonen, ziehen sich von Osten nach Westen den Hang hinunter. Die Straßen zwischen der Wohnbebauung sind verkehrsberuhigt, gemeinschaftliche Gärten, Spielplätze und grüne Nachbarschaftstreffs sind dazwischen gestreut. Der Gebäudebestand wird durch drei- bis fünfgeschossige Punkthäuser von ca. 15 x 15 Metern Grundfläche ergänzt. Diese Bausteine werden als Stadtmodule verstanden, die in die vorhandene Bebauungsstruktur bauabschnittsweise eingefügt werden können. Im Osten, am Hochpunkt des Hanges setzen wir mit zwei etwas höheren Gebäuden Akzente. Ansonsten zieht sich die Neubebauung den Hang hinunter bis zum bereits vorhandenen Jugend- und Nachbarschaftszentrum mit seinen mit Sport- und Spielplätzen, das wir in einen Quartierspark eingebettet und somit eine zentrale Gemeinschaftsfläche geschaffen haben.

Das neugestaltete Quartier hebt sich in seinem Charakter deutlich von anderen Wohnbebauungen ab. Landschaft und Gebäude stehen im Rhythmus zueinander und obwohl die Häuser baulich ähnlich und damit effizient errichtet werden können, weisen sie doch eine gewisse Varianz auf. Uns war es wichtig, den menschlichen Maßstab im Gebiet zu wahren und zu respektieren, damit Bewohner sich auf überschaubaren Wegen und Plätzen begegnen können. Die Baukörper weisen eine noch „begreifbare“ Größe auf. Insgesamt wird eine Architektur geschaffen, die eine unaufdringliche, doch wertige Haltung einnimmt. Übersichtlichkeit, Transparenz und Maßstäblichkeit – durchbrochen von Bäumen und Grün.

Das Baugesuch ist eingereicht – wie sehen die nächsten Schritte aus?

Unsere Planungen erstrecken sich über das gesamte Stadtviertel Rötenberg. Die Baumaßnahmen sind inzwischen in drei Bauabschnitte unterteilt worden. Bis zum Bauabschluss soll die zur Verfügung stehende Wohnfläche am Rötenberg von 5.000 auf 15.000 Quadratmeter angewachsen sein.

Für den BA 1 mit sieben Punkthäusern und insgesamt 60 Wohnungen haben wir gerade das Baugesuch eingereicht. Derzeit wird das Gelände für den Beginn der Bauarbeiten vorbereitet. Das ist etwas aufwendiger als gewöhnlich, da die Baugrube nicht abgeböscht werden kann und zuerst ein Verbau erstellt werden muss. Baubeginn soll jedoch noch 2017 sein, der Rohbau ist dann für Frühjahr 2018 terminiert. Wir rechnen mit einer Gesamtbauzeit von etwa zwei Jahren.

Was sind die primären architektonischen Ziele Ihres Konzepts am Rötenberg und wie sieht das Gebäudekonzept dafür aus?

Drei primäre Ziele haben sich im Laufe der Bearbeitung herauskristallisiert:
Erstens, die qualitative Aufwertung des gesamten Wohngebiets. Zweitens, attraktives Wohnen für Bewohner aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten und drittens, die Möglichkeit die neu entstehenden Wohnungen sowohl zu vermieten, als auch als Eigentumswohnungen verkaufen zu können. Vom Städtebau bis hin zum Grundrisskonzept der Wohnungen sind wir nach einem Prinzip vorgegangen, das man „Vom Großen bis ins Kleine modular“ benennen könnte. Das bedeutet: Die Idee der städtebaulichen Nachverdichtung mittels punktueller Bebauung setzt sich im konzeptionellen Aufbau der Punkthäuser selbst fort.

Unser Wettbewerbsbeitrag präsentierte ein sehr progressives und modernes, für Aalen vielleicht zu urbanes Wohngebäudemodell, das wir sehr flexibel mit unterschiedlichen Grundrisslösungen füllten. Nach einer Art Baukastenprinzip wurde ein Raster aufgebaut das neben Treppe und Aufzug drei weitere fixe Installationsschächte aufweist und damit in jedem Stockwerk nahezu beliebig sechs verschiedene Wohnungsgrundrisse ermöglicht. Von studentischem Wohnen und Single-Apartments, über Wohnungen für Paare und Senioren bis hin zu unterschiedlich großen Wohnungen für Familien sollten dort unterschiedliche Wohn- und Lebensmodelle integriert werden und so die soziale und gesellschaftliche Durchmischung noch weiter forcieren. Die Einheiten sollten auf einer oder auf zwei Gebäude-Ebenen als Maisonette-Wohnungen, bei Bedarf barrierefrei oder als Wohnungen für Wohngemeinschaften organisiert werden. Doch Microwohnungen für Studenten oder Berufsnomaden werden wohl eher im Großstadtkontext nachgefragt.

Vielleicht sind wir in Aalen, einer Stadt mit ca. 70.000 Einwohnern, unserer Zeit noch voraus, mit dieser extremen Flexibilität. Der Bauherr hat jedenfalls fast nur Bedarf an klassischen Zwei, Drei- und Vierzimmerwohnungen angemeldet. Dementsprechend haben wir den Entwurf inzwischen angepasst. Zu Beginn waren auch gemeinschaftlich zu nutzende Flächen im Gebäude zum Beispiel als Dachterrassen vorgesehen, doch auch auf diese wurde inzwischen zugunsten eines wirtschaftlicheren Verhältnisses zwischen Wohnfläche und Fixkosten verzichtet. Alternativ gleichen die differenziert gestalteten Freiflächen um die Häuser diese Gemeinschaftsfläche jedoch wieder aus.

Welche Bauweise bzw. welche Materialien sehen Sie für die Gebäude vor? Gibt es gestalterische Unterschiede zwischen Miet- und Eigentumswohnungen?
Insgesamt streben wir eine reduzierte Formensprache und auch eine minimierte Materialauswahl an. Wir haben Putzflächen, Glas, Metallbrüstungen und extensiv begrünte Dächer. Die klare Geometrie und Proportion der Punkthäuser trägt zu einer ruhigen und angenehmen Gestaltung bei. Die kompakte Bauweise bietet die Vorteile einer vierseitigen Belichtung, geringer Flächenversiegelung und geringer gegenseitiger Verschattung.

Die Gebäude werden in Massivbauweise mit einem Schalungsstein aus Leichtbeton erstellt, der in seinem Kern bereits die Wärmedämmung beinhaltet und auf der Baustelle mit Beton ausgefüllt wird. Gegenüber einem herkömmlichen Wärmedämmverbundsystem erhoffen wir uns Vorteile: Die Fassade wird nur verputzt, eine Dämmschicht davor ist nicht nötig, demnach wird es keine Veralgung oder Schimmelflecken geben, keine durch Vögel verursachte Löcher in der Dämmung und auch haptisch ist die Gebäudehülle angenehmer und klingt nicht so hohl, wie das bei herkömmlichen Wärmedämmverbundsystemen der Fall ist. Die Untergeschosse sind komplett in Stahlbeton gefertigt. Hier muss wegen des Erddrucks eine außenliegende Dämmung aufgebracht werden. Die Gebäude werden verputzt. Um die Fenster und Fenstertüren herum haben wir weiße Faschen, also gestalterisch abgesetzte Umrahmungen, vorgeschlagen, die die Öffnungen betonen und optisch vergrößern.
Was die Ausstattung betrifft, sollen sich die Häuser nicht unterscheiden. Einzig bei der Fassadengestaltung soll es zwei Varianten geben: eine Variante mit nur brüstungstiefen Fenstern und eine weitere mit größeren, bodentiefen Fensterausschnitten, denen Metall- Staketengeländer als Absturzsicherung vorgesetzt werden. In den Loggien bei beiden Fassadenvarianten wiederholt sich dann dieses Geländerdetail.

Die Loggien sollen als „Aushöhlungen“ aus den vollen Volumen der kubischen Punkthäuser mit Flachdächern wahrgenommen werden – je dezenter die Ausschnitte, desto mehr wirkt dieses Prinzip. Die Häuser mit den größeren Fensteröffnungen sind an weniger einsehbaren Stellen errichtet, haben auch den freieren Blick in die Landschaft und sind insgesamt wohl lichtdurchfluteter. Das werden sehr wahrscheinlich die Häuser sein, deren Wohnungen später zum Verkauf angeboten werden. Ansonsten wurde das Materialkonzept bereits sehr genau vom Bauherrn vorgeschrieben: So sollen alle Wohnungen mit Parkettboden ausgestattet werden, in den Bädern und in den Treppenhäusern sind Fliesenbeläge vorgesehen. Hier gibt es von unserer Seite her nur wenig Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen. Über ein Farbkonzept machen wir uns in einem späteren Zeitpunkt Gedanken.

Welche Komponenten beinhaltet das Energiekonzept der Gebäudegruppe?

Bei allen Neubauten wird KfW 70 Standard angestrebt. Die Heizungsanlage besteht aus einer Pelletanlage mit zusätzlichen Gasthermen. Dazu haben wir in einem Gebäude eine komplette Heizzentrale vorgesehen von der aus die Nahwärmeversorgung organisiert wird. So hat man weniger Einzelgeräte und eine bessere Auslastung des Systems. Auch das Pelletlager befindet sich hier. Bei den nächsten Bauabschnitten werden wir genauso vorgehen und jeweils zugehörige Energiezentralen planen. Photovoltaik kann auf den Flachdächern der Punkthäuser noch nachgerüstet werden. Die Bestandsgebäude sind über Zentralheizungen selbstversorgt.

Wie definieren Sie „Nachhaltigkeit“ in der Architektur?

Die Nachhaltigkeit bei diesem Projekt besteht unserer Meinung nach darin, das man hier Innenentwicklung betreibt, d.h. ein bestehendes Wohngebiet durch Nachverdichtung aufgewertet wird und nicht an neuer Stelle weitere Landschaftsflächen versiegelt und neu erschlossen werden müssen. Außerdem umfasst Nachhaltigkeit nicht nur den ökologischen Aspekt sondern hat auch eine soziale Komponente. Indem wir das Gebiet aufwerten und auch gesellschaftlich neu strukturieren, schaffen wir eine Perspektive für die Zukunft und erreichen, dass ein Gebiet lange Zeit von zufriedenen Bewohnern bevölkert wird, die dort gerne leben und entsprechend achtsam mit den Gebäuden umgehen. Wir wollen, dass die eingesetzten Ressourcen möglichst lange gut genutzt werden. Dazu gehört aus unserer Sicht auch eine zeitlose Architektursprache, die lange gefällt und möglichst viele Freiräume auch für Entwicklungen bereit hält.

Das Gespräch führte Iris Darstein-Ebner.

Bauherr
Wohnungsbau Aalen GmbH, Aalen

Architekten
Aldinger Architekten Planungsgesellschaft mbH

Landschaftsarchitekten
Köber Landschaftsarchitektur, Stuttgart

Wettbewerb
1. Preis 2013

Planungszeit / Fertigstellung
2014 – 2017 / 2018

Kosten
14,1 Mio. € (Kgr. 2-7)